«Aktivist*innen können einfach abkürzen»
Ein Gespräch mit dem Back to Back Theatre
Mit ihrem dokumentarischen, partizipatorischen und doch fiktional-essayistischen Ansatz lotet das in Geelong ansässige Back to Back Theatre die Grenzen des Theaters aus. Die freie Dramaturgin Svenja Schäfer traf sich mit dem Regisseur Bruce Gladwin und den Schauspieler*innen Simon Laherty, Scott Price und Sarah Mainwaring online zum Gespräch – auch wenn sich die Ensemblemitglieder einig sind, dass das Format des Videocalls während der sehr strengen Covid-Lockdowns in Victoria, Australien, «ätzend» war. Im virtuellen Gespräch plaudern sie darüber, was sie von Zürich halten, wie Aktivismus in die Dramaturgie ihres Stücks «A Shadow Whose Prey the Hunter Becomes» eingeflossen ist und was das Schauspielen für Simon, Scott und Sarah bedeutet. Diese Arbeit des Back to Back Theatres basiert unter anderem auf den persönlichen Erfahrungen der Ensemblemitglieder, mit Behinderungen in einer Gesellschaft zu leben, die stark an der Idee von Normativität festhält. «A Shadow Whose Prey the Hunter Becomes» konfrontiert die Gesellschaft mit ihrem Versagen, ein «New Normal» zu schaffen, das der Vielfalt ihrer Mitglieder gerecht wird.
Svenja Schäfer: Ihr wart schon einmal in Zürich und habt wahrscheinlich noch ein Bild von der Stadt im Kopf. Was ist euch in Erinnerung geblieben?
Scott Price: Der See, die Banken, der See. Viele reiche Leute und Geld, weisst du was ich meine? Ein neutrales Land, zumindest das meiste davon …
Svenja Schäfer: Was hat euch gefallen?
Scott Price: Das ist eine wirklich gute Frage. Ich bin mir nicht sicher, was ich sagen soll. Ich habe viel Tripadvisor gemacht. Du sprichst in höchsten Tönen über das Festival (richtet sich an Bruce).
Bruce Gladwin: Mir gefällt der Kontext des Theater Spektakels rund um den See sehr gut. Als Künstler*in kann man proben oder auftreten und danach direkt in den See eintauchen. Das ist eine ganz besondere Situation und das Wasser ist einfach spektakulär. Zudem ist das Publikum sehr hilfsbereit und interessiert an ...
Scott Price: … unserer Arbeit.
Bruce Gladwin: … unserer Arbeit, oder: unserer herausfordernden Arbeit. Oder einer Arbeit, die die theatrale Form vorantreibt.
Svenja Schäfer: Simon, du arbeitest seit 2003 mit Back to Back zusammen, Scott seit 2006 und Sarah seit 2007. Das ist eine ziemlich lange Zeit. Was hat euch dazu bewogen, bei der Schauspielerei zu bleiben? Was fasziniert euch daran?
Sarah Mainwaring: Ich bin neugierig. Ich schreibe und spiele gerne meine eigenen Stücke. Es macht mir aber genauso Spass, andere Stücke aufzuführen, die ich einfach vergleichen und dann einfach aufführen kann. Nicht als Solistin, sondern eher als Teil eines Ensembles und innerhalb einer Gruppe. Und ich bin in der Lage, die Werke auf der ganzen Welt aufzuführen, was mich ebenfalls begeistert und stimuliert, und es bereitet mir …
Scott Price: … Vergnügen.
Sarah Mainwaring: Ansporn und Vergnügen, und ...
Scott Price: (kichert)
Sarah Mainwaring: Es erfüllt mich mit Leidenschaft und Tatendrang, mit Emotionen, sodass ich meine schauspielerische Arbeit immer weiter fortführen will. Es ist wirklich, wirklich aufregend, ich liebe es! Es ist grossartig!
Scott Price: Gut gesagt, Sarah, gut gesagt. Für mich ist alles eine Frage der Beharrlichkeit, ja, der Beharrlichkeit. Weisst du, einfach den Mut und den Willen zu haben, in der Performance zu bleiben.
Svenja Schäfer: Es braucht viel Mut, um vor Publikum aufzutreten, richtig?
Scott Price & Sarah Mainwaring: Ja.
Scott Price: Und Durchhaltevermögen. Simon, möchtest du dem noch etwas hinzufügen?
Simon Laherty: Was ich an Back to Back mag, ist die Schauspielerei, das Touren und dass die Arbeit mich davon abhält, Unsinn zu machen.
Svenja Schäfer: Simon, auf der Back-to-Back-Website stellst du dich mit den Worten vor: «Wir sind alle Schauspieler und wir können alle schauspielern.» Ich kann mich mit diesem Zitat identifizieren, es ist ermutigend und stark.
Simon Laherty: Ja, das ist richtig.
Svenja Schäfer: Es gibt diese Vorstellung, dass man als Schauspieler*in ganz zu der Figur werden muss, die man auf der Bühne spielt – wie eine Verwandlung. Könnt ihr das bestätigen oder bringt man auch immer die eigene Persönlichkeit mit auf die Bühne?
Simon Laherty: Da bin ich mir nicht sicher. Aber mit Sicherheit wird man zu seiner Figur.
Sarah Mainwaring: Ich finde schon, dass ich mich in die Figuren verwandle. Ich bin mir nicht sicher, ob das die Frage war, aber ich finde, ich verwandle mich für jede Show, ich verwandle mich in jede Figur. So kann ich mich in die Figur hinein- und wieder heraus verwandeln, wenn die Show vorbei ist. Ich kann mich wieder aus der Rolle zurückverwandeln, ja.
Bruce Gladwin: Wir spielen mit der Spannung zwischen den Schauspieler*innen als Menschen und den Figuren, die sie spielen. Im Drehbuch für «A Shadow Whose Prey the Hunter Becomes» und in anderen Produktionen haben die Charaktere auch die gleichen Namen wie die Schauspieler*innen. Das Publikum interessiert und fasziniert das und viele fragen: Wie real ist das? Sind das die persönlichen Erfahrungen der Schauspieler*innen? Oft bringen die Schauspieler*innen ihre eigenen Lebenserfahrungen mit ein, aber es steckt auch eine Menge Recherche dahinter und auch all die Diskussionen, die wir miteinander führen. Scott könnte beispielsweise einen Text vortragen, der von Simon improvisiert wurde. Die Dramaturgie ist sehr offen.
Svenja Schäfer: Worum geht es in «A Shadow Whose Prey the Hunter Becomes»?
Scott Price: Es geht darum, eine Verbindung zwischen künstlicher Intelligenz und Aktivismus herzustellen und sich dabei vorzustellen, was in naher Zukunft passieren könnte. Ich habe versucht, dir das zu erklären (richtet sich an Bruce).
Bruce Gladwin: Es handelt sich um eine Gruppe von Aktivist*innen, die dieses Treffen abhalten, um auf die Gefahren und das Aufkommen von künstlicher Intelligenz aufmerksam zu machen. Sie wollen die Welt retten, tun aber schlussendlich das, was sie ankreiden.
Scott Price: Ich behandle Sarah auf eine sehr sexistische und frauenfeindliche Weise.
Bruce Gladwin: Dann wehrt sie sich gegen Scott und so weiter.
Bruce Gladwin: Im Stück wird die Behandlung von Menschen mit Behinderungen in der heutigen Gesellschaft mit einem Zukunftsszenario verglichen, in dem die künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz überholt hat. So werden Parallelen zur jetzigen Gesellschaft gezogen. Die Art und Weise, wie wir andere behandeln, ist letztlich die Art und Weise, wie wir uns selbst behandeln – das ist wohl die Moral des Stücks.
Svenja Schäfer: Bringt ihr die Themen während der Entwicklung der Stücke selbst ein?
Sarah Mainwaring: Ja, wir bringen eine Menge ein.
Scott Price: Ja, das tun wir.
Bruce Gladwin: Es gibt eine Reihe von Leuten, die am Prozess beteiligt sind. Im Laufe der Produktion sind zwei Personen verstorben, die beide am Entwicklungsprozess beteiligt waren – Sonja und Victoria. Wir beginnen also oft mit acht bis zehn Leuten, die an einem Stück arbeiten. Es folgt viel Improvisation, wir spinnen Ideen weiter, diskutieren und recherchieren. Dadurch verfeinern wir das Stück. Schliesslich reduzieren wir das Stück auf eine Besetzung, die das Material präsentieren kann. Sarah, Scott und Simon haben also alle dazu beigetragen, aber genauso auch Sonja, die inzwischen verstorben ist. Sie hat ursprünglich die Rolle gespielt, die Simon im Stück spielt. Sie hat auf eine magische Weise zum Stück beigetragen.
Scott Price: Ja, das hat sie.
Sarah Mainwaring: Ja.
Bruce Gladwin: Es gibt zum Beispiel einen Punkt zu Beginn des Stücks, an dem Simons Figur eine sogenannte «Acknowledgement of Country» ausspricht, eine Anerkennung der Indigenen Bevölkerung des Landes. Und dabei benutzt er eine falsche Bezeichnung. Scott korrigiert ihn und dann bekommt er die Aussprache nicht hin, er kann es nicht richtig aussprechen. Das falsche Aussprechen ist eine Art von Demütigung oder es ist wie ein ...
Scott Price: … ein Fauxpas.
Bruce Gladwin: Aber als wir anfangs die Improvisation gemacht haben, hat Sonja genau diesen Fehler gemacht.
Scott Price: Das hat sie, das hat sie.
Bruce Gladwin: Es ist wirklich interessant, wenn Leute etwas falsch machen. Wir haben das dann als eine Art Philosophie bei der Stückentwicklung verfolgt... Entschuldigung, ich rede zu viel.
Scott Price: Nein, alles gut. Ich erinnere mich daran, ich erinnere mich wirklich daran.
Bruce Gladwin: Im Entstehen der Arbeit gibt es eine Verletzlichkeit und wir sind offen für Fehler, Pannen und Missverständnisse. Und bis zu einem gewissen Grad haben wir versucht, das im Prozess weiterzuverfolgen.
Svenja Schäfer: Gibt es etwas, dass ihr als Schauspieler*innen durch diese Prozesse gelernt habt?
SM: Wir haben alle Ideen als Gruppe entwickelt und sie als Gruppe erforscht. Mit der Zeit, durch Schauspiel oder durch Texte. Wir hatten die Zeit dafür und sie hatten die Zeit, um zu entwickeln. Das war gut.
Simon Laherty: Es war ein Auf und Ab über die Jahre.
Sarah Mainwaring: Das Stück hat sich über drei Jahre entwickelt, ja.
Bruce Gladwin: Als wir mit der Arbeit an dem Stück begannen, war ein Anwalt mit involviert; er machte uns auf eine Geschichte in der «New York Times» aufmerksam: 32 Männer mit Behinderungen waren an einem Beschäftigungsprogramm in Iowa, USA, beteiligt. In den späten 1970er Jahren wurden sie aus einer Einrichtung für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen herausgenommen und in einer Truthahnfabrik untergebracht, wo sie die Truthähne schlachten und verpacken mussten. Sie arbeiteten dort etwa vierzig Jahre lang und erhielten immer noch das gleiche Gehalt wie zu Beginn in den 1970er Jahren. Es ist also im Grunde eine Geschichte über Sklavenarbeit und …
Scott Price: … und Ausbeutung.
Bruce Gladwin: Ja. Die Verantwortung einer Gesellschaft ist es, sich zu kümmern, dafür zu sorgen, dass die Menschen angemessen behandelt werden. Wir dachten also: Oh, das ist eine tolle Geschichte. Lasst uns ein Stück daraus machen. Und wir haben tatsächlich eine Variante entwickelt, in dem alle Schauspieler*innen versuchten, diese Figuren zu spielen – US-Amerikaner, die in einer Truthahnfabrik arbeiteten ...
Svenja Schäfer: Klingt interessant ...
Bruce Gladwin: Es war grauenhaft, weisst du?
Scott Price: Oh Gott, wir haben sogar mit amerikanischem Akzent gesprochen.
Bruce Gladwin: Wir versuchten, einem Publikum zu erklären, was wir vorhatten. Aber es war einer dieser Ansätze, die zum Scheitern verurteilt sind.
Scott Price: Ja!
Bruce Gladwin: Es war wirklich peinlich. Aber am Ende stand Scott tatsächlich auf und sagte einfach: «Also hört zu, die Geschichte handelt hiervon.» Und er erklärte die Geschichte und sagte: «Deshalb mögen wir die Geschichte und deshalb ist es wichtig, dass sie erzählt wird.» Und die Art und Weise, wie er sich an das Publikum wandte, war einfach eine direkte Ansprache an das Publikum. Es war, als wäre er ein Aktivist. Also überlegten wir uns: Darin liegt etwas wirklich Interessantes, in der Idee, dass die Schauspieler*innen Aktivist*innen spielen. Denn Aktivist*innen können einfach abkürzen. Man kann sagen, was man sagen muss, und zwar auf sehr prägnante Weise. Das liegt in der Natur des Aktivismus, man muss seine Botschaft schnell und effektiv rüberbringen.
Back to Back Theatre zeigt «The Shadow Whose Prey the Hunter Becomes» vom 2. – 4. September 2022 am Zürcher Theater Spektakel. Weitere Informationen
Credits
Interview: Svenja Schäfer
Deutsche Übersetzung: Anuschka Berthelius
Foto: Zan Wimberley