ZKB Förderpreis 2019
Samara Hersch & Lara Thoms (Australien) für «We All Know What's Happening»
Begründung der Jury
Diese Theaterproduktion ist mehr als nur Theater. Dahinter verbirgt sich ein komplexes Projekt: Es beginnt mit einem Theaterworkshop und dem Plan, eine Geschichtslektion auf die Bühne zu bringen, und es endet in einem ausserordentlichen künstlerischen Format für politische Dringlichkeit. Bei dessen Entwicklung hat sich eine Gruppe von australischen Jugendlichen nicht nur auf einen kreativen Prozess eingelassen, sondern auch in den gegenwärtigen politischen Kampf für grundlegende Menschenrechte. Samara Hersch und Lara Thoms haben die jungen Performer*innen eingeladen, gemeinsam ein dokumentarisches Theaterstück über Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen auf die heutigen transnationalen Machtverhältnisse zu kreieren. Indem sie sich gemeinsam Wissen aneigneten, entwickelten die jungen Künstler*innen die Kompetenz, Inhalte und Anliegen zu artikulieren. Ihre Art der Zusammenarbeit wird in der Struktur, in der Ästhetik und in der Artikulation des Diskurses sichtbar.
Wir hatten das Vergnügen, ein geradliniges, ehrliches, eloquentes und authentisches Stück zu sehen und gleichzeitig ein grosszügiges, verletzliches und komplexes Kunstwerk. In «We All Know What’s Happening» präsentieren Samara Hersch, Lara Thoms und die Performer*innen nicht bloss eine Geschichte, sondern prüfen auch sorgfältig ihre eigene Rolle in dieser Geschichte. Sie bedienen sich der traditionellen Ästhetik von Kindertheater, um einen vertrauten, scheinbar harmlosen Kontext zu kreieren, den sie nach und nach aufbrechen und tiefe Risse in der Gesellschaft aufdecken.
Mit der Wahl würdigt die Jury die ausserordentliche Komplexität der Arbeit von Samara Hersch und Lara Thoms, versteht sie aber auch als Geste der Unterstützung für das kollektive Bemühen der jungen Künstler*innen und Aktivist*innen.
ZKB Anerkennungspreis 2019
Ira Melkonyan & The Rubberbodies Collective (Ukraine/Niederlande) für «Upstairs Geology 50/50»
Begründung der Jury
Die Prognosen sind ganz und gar nicht vielversprechend. Die Veränderung hat uns noch nicht erreicht, dennoch passiert sie direkt vor unseren Augen. Wir sitzen sicher in einem sauberen Laborraum, der von menschlichen und nicht-menschlichen Protagonisten belebt wird, und werden Zeugen ihrer Interaktionen und Wechselbeziehungen. Es ist ein komplexes und buntes System, das riecht, schmilzt, tröpfelt, ausläuft, gefriert. Es wurde zwar von Menschen initiiert und wird von ihnen betrieben, doch es widersetzt sich lebhaft, durchbricht vorgegebene Bahnen und Membrane. Flüssigkeiten verändern ihren Zustand und hinterlassen Spuren. Die Zeit macht die Materialien durchlässig, und die Flüssigkeiten breiten sich im Raum aus.
In «Upstairs Geology 50/50» zeigen Ira Melkonyan & The Rubberbodies Collective die Auswirkungen von Nichtmenschlichem und hinterfragen die Zuweisung der Urheberschaft im Theater. Diese performative Installation ist ein herausragendes Beispiel für ein politisches Kunstwerk. Sie «herrklärt» Natur nicht, sondern lädt uns ein, die Transformation einer undichten Landschaft zu verfolgen und sie zu erfahren — mit all ihren Risiken. Der weibliche Blick eröffnet nicht nur eine neue Perspektive auf die flüssigen Prozesse, die um uns herum stattfinden, sondern auch darauf, wie wir sie ausdrücken. Ebenso ermöglicht er einen faszinierenden Ausblick, was noch zu tun ist.